Dänemark – Farvel und auf Wiedersehen Skandinavien!

 

 Land Nummer neun auf meiner Bernsteintour um die Ostsee war Dänemark.

Spät in der Nacht des 1. September kam ich dort an. Der Fernreisebus, den ich kurz zuvor gebucht hatte, transportierte mich und mein Fahrrad über die acht Kilometer lange und somit weltweit längste Schrägseilbrücke, die Øresundbrücke, von Malmö nach Kopenhagen (dänisch: København). Wie über jede größere Brücke Skandinaviens dürfen auch über die Øresundbrücke keine Fahrräder fahren. Ein Weilchen dauerte es, bis ich zusammengepackt hatte, dann war ich wieder radfahrbereit.

Kopenhagen empfing mich schon in der Nacht außerordentlich munter.

Kein Wunder, war es doch eine Samstagnacht.

Auf den Straßen wimmelte es von Radfahrern. Manche sausten an mir vorbei. Ich musste gut aufpassen, dass ich in meinem gemütlichen Tempo nicht umgefahren wurde. Am meisten beschäftigt war ich mit der Frage: Wo campen? Schließlich hatte ich vor, mir am nächsten Tag die Stadt anzusehen, und wollte mich darum nicht zu weit vom Zentrum entfernen. Glücklicherweise besitzt Kopenhagen viele Grünflächen, und so fand ich schnell einen Park, in dem ich geschützt und unbemerkt zelten konnte.

 

Die zentrumsnahe Lage des Parks ermöglichte mir, am nächsten Morgen sofort mit der Stadtbesichtigung loszulegen.

Ich steuerte zuallererst das Copenhagen Visitor Service Centre, „kurz“ für Touristeninformation, an. Bereits diese könnte man als Sehenswürdigkeit bezeichnen. Auf multimediale Weise erfuhr ich hier unglaublich viel über die Stadt, konnte mich außerdem in eine der gemütlichen Nischen zurückziehen, kostenfrei im Internet surfen, mein Handy aufladen und Informationsbroschüren durchblättern. Es gab 3D-Brillen, durch die man die Stadt auf einer 360-Grad-Tour besichtigen konnte. Unzählige Bildschirme an den Wänden erteilten Auskunft über nahezu alle Fragen, die Touristen bewegten.

Das Highlight dieser Touristeninfo aber war ganz eindeutig ein Sprachroboter in Menschengestalt. Dieser reagierte auf Blickkontakt und interagierte mit den Wissbegierigen. Dabei drehte er auf niedliche Weise seinen Kopf hin und her. Der ulkige Knirps beherrschte alle Sprachen und übersetzte fleißig Informationen vom Dänischen in die gewünschte Landessprache.

Nach diesem schönen Erlebnis und mit Informationen ausgestattet steuerte ich – vorbei an einem der weltweit ältesten Erholungs- und Vergnügungsparks, dem Tivoli, und vielen weiteren Sehenswürdigkeiten – die Altstadt in Richtung Uferpromenade „Langlinie“ an. Dort sitzt schon seit über hundert Jahren die Kleine Meerjungfrau. Die Bronzefigur der Kleinen Meerjungfrau, aus Hans-Christian Andersens gleichnamigem Märchen nachempfunden, ist das Wahrzeichen Kopenhagens, eines der kleinsten Wahrzeichen der Welt. Ich wollte sie unbedingt sehen, bevor es weiterging.

 

Allgemein bekannt ist die Fahrradfreundlichkeit der dänischen Hauptstadt.

Doch, was ich dann vor Ort erlebte, übertraf alle meine Erwartungen: Ein ausgedehntes Netz breiter, meist von der Fahrbahn durch Höhenunterschiede abgegrenzter Radwege erstreckt sich über die gesamte Stadt und darüber hinaus. Sogar einige Brücken wurden ausschließlich für den Radverkehr konstruiert. Ausführliche Beschilderung erleichterte die Orientierung enorm. Stütz- und Haltevorrichtungen vor Ampeln, Ampelschaltanlagen, die den Radverkehr priorisieren, Teerrampen an den Bordsteinkanten zum fließenden Befahren der Wege, Kreisverkehr für Radfahrer und sogar eigens für Fahrräder eingerichtete Parkhäuser mit integrierter Service- und Reparaturstation machten das Radfahren in Kopenhagen auch für mich zu einem besonderen Erlebnis.

Kurioserweise existiert sogar eine dänische Botschaft für Fahrräder, „The Cycling Embassy of Danmark“, die im Netz neben Radfahrer-Know-how geführte Radtouren durch Kopenhagen anbietet sowie über Neuigkeiten, Tipps und Tricks rund um das Zweirad informiert.

 

 
 

 

Dem Großstadtgetümmel Kopenhagens, entkam ich schließlich unkompliziert und zügig über den Radschnellweg „Cykelsuperstier“, entlang der Bucht von Køge (Køge Bugt). In der Dämmerung am Ende dieses Tages schlug ich mein Zelt an einer schönen, einsamen Stelle zwischen einer Düne und einem Ententeich auf. Am nächsten Morgen weckte mich lautes Entengeschnatter.

 

Der Sommer neigte sich langsam, aber sicher seinem Ende entgegen.

Besonders beim Zeltabbau in aller Frühe bekam ich diese Tatsache zu spüren. Es dauerte ewig, bis der Tau, der sich nachts an den Zeltwänden gebildet hatte, getrocknet war. Auch der Sonne fehlte mittlerweile die Kraft, um diesen Prozess voranzutreiben. Mangels Geduld packte ich das durchnässte Zelt zusammen und setzte meine Reise fort bis zur malerischen Mittelalter- und Hafenstadt Køge.

In Køge fühlte ich mich wohler als im menschenüberfüllten Kopenhagen.

Kleine kopfsteingepflasterte Gassen mit bunten Fachwerkhäusern prägten das Stadtbild. Der riesige Marktplatz im Stadtkern, auf dem in vergangenen Zeiten jede Form von Handel stattfand, war gesäumt von entzückenden Restaurants und Cafés. Køge gehört zu den am besten erhaltenen mittelalterlichen Städten Dänemarks.

 

In Dänemark blieben die Entfernungen überschaubar. Für eine Tagesetappe musste ich nicht wie zuvor in Schweden jeden Tag an die 100 Kilometer schrubben. So hatte ich mehr Zeit, alles genau anzuschauen oder auch nur mal am Strand zu relaxen. Das tat ich am Strand von Faxe Ladeplads, wo ich mir den gesamten Vormittag die Sonne ins Gesicht scheinen ließ. Hin und wieder kamen einige einheimische Badegäste vorbei, sprangen kurz ins Wasser und waren gleich darauf auch schon wieder verschwunden. Es ging ruhig zu am Strand, die Saison war bereits vorbei.

Widerwillig trennte ich mich am Nachmittag von diesem liebgewonnenen Strand und nahm die Panorama-Route nach Skaelskor. Welch grandioser Ausblick!

 

 
 

 

 

Während ich in Schweden manchmal auf Zurückhaltung gestoßen war, verhielten sich die Menschen in Dänemark mir gegenüber überwiegend offen und interessiert. In Skaelskor, einem Ort an der Südwestküste der dänischen Insel Seeland, saß ich auf einer Bank in der Fußgängerzone und aß, um mich etwas zu stärken. Zu meiner Verblüffung hielten dreimal Fußgänger an und fragten mich, woher, wohin und warum.

Abends landete ich – nun schon zum dritten Mal – zur Übernachtung auf einem Golfplatz, – einem vorzüglichen Ort, um kostenfrei, aber gepflegt zu nächtigen. Dort hatte ich meine Ruhe, der Boden war weich, die Atmosphäre friedlich. Nur morgens sollte man flink zusammenpacken, sonst fliegen einem womöglich die Bälle um die Ohren. Mit der untergehenden Sonne schlief ich ein, mit der aufgehenden Sonne stand ich auf. Was für ein eindrucksvoller Sonnenaufgang! Frischer Nachttau lag auf dem Rasen, und der gesamte Golfplatz war in zarten Nebel gehüllt. Da hindurch schien zaghaft die Sonne. Wie schön, dass ich dieses Schauspiel unbemerkt und ungestört beobachten konnte! Früh abziehen musste ich trotzdem, um nicht von morgendlichen Golfern überrascht zu werden.

 

Bald zeigte sich die Sonne hoch am Himmel, und ich beschloss, mein Zelt noch einmal zum Trocknen auszubreiten. Auf einer Kiesfläche, unmittelbar neben einem Acker, packte ich mein Frühstück, das aus Butterbroten und einer Tafel Schokolade bestand, aus und ließ es mir schmecken. Ich genoss die ländliche Ruhe. Da, wie aus dem Nichts, wälzte ein Mähdrescher heran. Ausgerechnet neben mir pflügte er das Feld, er drehte eine Runde, eine zweite Runde. Als er sich mir zum dritten Mal mit lautem Gedröhn näherte, stieg der Fahrer aus. In Gedanken legte ich mir die passenden Argumente zurecht, falls er vorhatte, mich zu verjagen. Doch zu meiner riesengroßen Überraschung bot er mir Kaffee aus seiner Thermoskanne an. Angesichts dieser Freundlichkeit war ich so überwältigt, dass ich nach diesem zünftigen Landfrühstück mit einem Lächeln weiterfuhr.

 

In Skaelskor setzte sich der Tag der freundlichen Leute fort. Mit einem älteren Mann unterhielt ich mich länger als beabsichtigt. Ursprünglich wollte ich nur wissen, wie viel man für ein Zugticket über die Storebaelt-Brücke zahlen müsse. Nach der Beantwortung meiner Frage wollte der Mann jedoch so viel über meine Ostseeradtour wissen, dass wir nach einer halben Stunde immer noch miteinander sprachen. Mit den Worten: „You have chosen the best summer for your trip“ entließ mich der Herr schließlich.

Wie recht er hatte!

Wie schon erwähnt, dürfen Radfahrer in Skandinavien nicht über große Brücken fahren. Meine Route verlief jedoch über die Meerenge „Großer Belt“, von der dänischen Insel Seeland auf die dänische Insel Fünen. Dies ließ sich nur über eine der größten Hängebrücken der Welt, die Storebæltsbroen (Großer-Belt-Brücke), bewältigen. Darum wählte ich den Zug als Transportmittel. Der einzige Fahrscheinautomat im Bahnhof war defekt. Darum versuchte ich im Bahnhofsladen ein Ticket zu erwerben. Der Verkäufer sprach jedoch kein Englisch und verstand mein Anliegen nicht. Dann also ohne Ticket in den Zug! Nun das nächste Problem: Trotz des Fahrradsymbols am Waggon war der Zug über fünf steile Stufen zu besteigen.

Ein Hoffnungsschimmer blitzte auf, als ausgerechnet an „meiner“ Tür der kräftige Zugbegleiter auftauchte. Doch mein Hoffnungsschimmer erlosch im Nu, als der Zugbegleiter mir zu verstehen gab, dass er unter Rückenproblemen leide und deshalb nichts Schweres heben dürfe. Okay, mein Rad war schwer – keine Frage. Aber zu zweit angepackt, würde es nur halb so schwer sein. So tat ich allein, was getan werden musste. Ich wuchtete mein Rad die fünf Stufen hinauf und schaffte es in den Zug.

 

Am anderen Ende der Storebæltsbroen, in Nyborg, angekommen, traf ich Kirsia. Die Tänzerin aus Nyborg war im selben Zug mitgefahren, jedoch bedeutend leichtfüßiger unterwegs als ich. Sie hatte einen kleinen Roller dabei, den sie zusammenklappen konnte. Kirsia bot mir an, in ihrem nahegelegenen Garten zu zelten. Dieses Angebot klang verlockend. Doch da es erst früh am Nachmittag war und ich mein Tagesetappenziel, Nyborg, schon erreicht hatte, wollte ich noch ausgiebig den Strand genießen und den Tag dort gemütlich ausklingen lassen. Gesagt, getan! Das Wasser war zwar kalt, aber glasklar, ruhig und weich wie Seide. Und der Ausblick auf die grandiose Hängebrücke, die ich kurz zuvor überquert hatte, war wie eine Belohnung für die zuvor bewältigten Strapazen. Ich fühlte mich rundum wohl.

 

Am Morgen, des 6. September, um sieben Uhr, in Nyborg, der ältesten Hauptstadt Dänemarks: Alles war fest verschlossen, die Fußgängerzone schlief noch, das Touristenbüro würde erst vier Stunden später öffnen und die bekannteste Sehenswürdigkeit, das Schloss Nyborg, lange Zeit Sitz der dänischen Könige, wurde gerade renoviert und war nicht begehbar.

Nur schleppend setzte ich meinen Weg fort. Diesmal war es nicht der Wind, der mich wieder einmal aus der falschen Richtung anblies. Diesmal machte mir etwas anderes zu schaffen. Ich spürte nun fast schmerzlich das Ende der Reise auf mich zukommen. Darauf wollte ich mich auch nach über dreimonatiger Tour nicht einstellen. Wehmut machte sich breit und ich trottete im Schneckentempo weiter.

 

Neuer Elan packte mich nach einem Bad in der wilden See bei Lundeborg.

Anfangs zögerte ich zwar, weil starker Wellengang herrschte und Algen und Schlamm nicht gerade zum Baden einluden. Doch dann sah ich drei ältere Leute ohne Zögern ins Wasser springen. Eine der Frauen fragte mich herausfordernd: „Are you a chicken?“

Da nahm ich die Herausforderung an. Das Wasser war trotz starken Windes und herbstlich anmutenden Wetters angenehm warm, und je weiter hinaus ich schwamm, desto klarer wurde es. Als ich aus dem Wasser kam, waren Schwermut und Abschiedsstimmung abgeschüttelt.

Der Wind wurde heftiger, Regen war angesagt, und ich musste unbedingt eine sichere Stelle zum Übernachten finden. Ich fand sie auf einer kleinen Lichtung mitten im dänischen Wald. Kein einziger Windhauch drang an mein Zelt, und die hohen Bäume zu allen Seiten bildeten das perfekte Blätterdach zum Schutz vor Regen. Hier wollte ich ausharren, bis sich der Regen legen würde. Gegen Mittag des nächsten Tages war es dann so weit. In Richtung Svendborg setzte ich meine Tour fort. Unterwegs nieselte es ab und zu.

Keine Frage, der Herbst war im Anmarsch.

 

In ganz Dänemark erreicht man aufgrund der kurzen Entfernungen und der auf Radfahrer zugeschnittenen Straßenverhältnisse schnell sein Ziel. Für mich hieß das Ziel an diesem Tag Faaborg. Kurz zuvor fand ich einen bemerkenswerten Übernachtungsplatz: direkt hinter einem Kirchfriedhof. Von den Gräbern trennte mich nur eine solide Hecke. Sie bot mir Windschutz. Sehr friedlich war dieser Ort, niemand störte. Nur die Kirchenglocken am nächsten Morgen hätten lauter nicht sein können. Für mich war das ziemlich praktisch, da ich früh aufstehen wollte.

Dieser 8. September war nämlich ein ganz besonderer Tag: mein Einhundert-Tage-Bernsteintour-Jubiläum!

Ich war in Feststimmung. Gleichzeitig fragte ich mich, wie einhundert Tage so schnell verfliegen konnten.

Am Wegesrand pflückte ich ein paar Blümchen für meinen treuen Drahtesel und steckte sie ihm ins „Haar“.

 

Mit der letzten Fähre auf meiner Bernsteintour schipperte ich von Bøjden nach Fynshav auf die Insel Als, die größte Insel Dänemarks.

Kurz vor Sønderborg machte ich halt an einer Sporthalle. Ich war neugierig. Zu meiner Verwunderung ließ sich sogar eine Tür öffnen. So trat ich ein und angenehme Wärme empfing mich. Ich stand gleich in der Cafeteria der Sporthalle, wo es sogar einen prall gefüllten Kühlschrank mit Getränken aller Art gab. Nur weit und breit kein Mensch! Ich rief ein paarmal „Hallo?“ und „Jemand da?“, aber erhielt keine Antwort. Auch nach einem Rundgang durch das Turnhallengebäude: niemand außer mir.

Konnte ich hier vielleicht die Nacht verbringen? Etwas ungläubig sah ich mich weiter um. Offensichtlich hatte nur jemand vergessen abzuschließen, denn alle anderen Türen waren verschlossen. Die Anlage wirkte verlassen. Na gut, dachte ich, warten wir mal ab. Die gesamte Fensterfront bestand aus Glas, also schien mir die Situation unter Kontrolle. Falls sich jemand näherte, würde ich ihn sofort sehen. Andererseits konnte natürlich auch jeder zu mir hereinschauen. Langsam wurde es dunkel, sodass ich beschloss, mich nicht mehr von diesem Ort zu rühren. Also schlug ich mein Nachtlager in der Cafeteria auf. Dazu reihte ich mehrere Stühle aneinander, obendrauf noch Luftmatratze, Schlafsack, Kissen: Fertig war mein Bett. Zum Tagesausklang genehmigte ich mir ein Feierabendbier aus dem Kühlschrank. Schließlich war ich auch ein bisschen stolz auf mein hunderttägiges Jubiläum.

Tief in der Nacht wurde ich von Geräuschen geweckt. Ein Lichtblitz zuckte immer wieder durch die Halle. Dann sah ich die Bescherung: Eine Gruppe Jugendlicher (nicht mehr ganz nüchtern, wie mir schien) hatte sich draußen vor der Fensterfront versammelt und kickte einen Fußball im Kreis herum. Zum Glück hatte ich von innen abgeschlossen, zu meinem Pech jedoch mein Fahrrad draußen stehen gelassen. Nun stand es da ganz alleine und unter Beschuss. Gepäckstücke und Schuhe auf dem Rad wiesen verräterisch darauf hin, dass die Besitzerin nicht weit entfernt sein konnte. Warum nur hatte ich nicht daran gedacht, mein Rad mit in die Halle zu nehmen? Platz war genügend vorhanden. So ärgerte ich mich über diese Gedankenlosigkeit und blieb erst einmal ruhig liegen. Zudem konnte ich nicht sicher sein, ob die Ankömmlinge mich drinnen schlafen sahen. Auf keinen Fall wollte ich die Jungs auf mich aufmerksam machen. Die Erfahrung, die ich schon einmal in Finnland mit alkoholisierten Jungspunden gemacht hatte, verlangte keine Wiederholung.

Plötzlich begannen die Jugendlichen, mit ihren Taschenlampen durchs Fenster in die Halle zu leuchten. Ich fühlte mich wie auf dem Präsentierteller. Vorsichtig robbte ich auf dem Boden in Richtung Kühlschrank, um mich in einer Küchennische zu verstecken. Puh, Glück gehabt! Unbemerkt konnte ich dem Scheinwerferlicht entkommen. Währenddessen setzten die Burschen den Beschuss meines Rades fort. Jeder Schuss, der hart gegen die Wand oder mein Rad prallte, fühlte sich für mich wie ein Schuss in die Magengrube an. Meine Gedanken kreisten darum, wie ich das Rad unbemerkt zu mir hereinholen könne. Von meinem abendlichen Rundgang durch das Turnhallengebäude war mir noch in Erinnerung, dass im Gang zu den anderen Hallen und zu den Sanitäranlagen Bewegungsmelder installiert waren. Diese reagierten auf jede Bewegung mit Licht im gesamten Gebäude. Um in diesen Gang zu gelangen, musste ich allerdings einmal die ganze Halle durchqueren, und das möglichst unsichtbar. Die Jungs da draußen waren so ins Kicken vertieft, dass ich es schaffte, erneut an ihnen vorbeizurobben. Glücklich über meine neu entdeckte Fähigkeit, hätte ich beinahe einen jungen Mann übersehen, der etwas abseits der Gruppe stand und mit seiner Taschenlampe rundum leuchtete. Endlich hatte ich die Tür zum heißersehnten Gang erreicht, öffnete sie und löste drinnen mit ein paar vorsichtigen Bewegungen den Bewegungsmelder aus. Mit einem Schlag war das ganze Haus hell erleuchtet!

In der Hoffnung, mit dieser Aktion die gewünschte Wirkung erzielt zu haben, wartete ich eine quälende Viertelstunde darauf, dass das Licht wieder ausging, damit ich den Rückweg zu meiner Schlafstelle antreten konnte. Dann war es endlich so weit! Ich tastete mich wieder vor bis zu dem Fenster, wo die Jungs sich zuvor aufgehalten hatten. Große Erleichterung! Sie waren weg. Ich hatte sie tatsächlich verjagt. Auf Socken rannte ich hinaus, packte in Windeseile mein Rad und stellte es zu mir in die Halle. Wahrscheinlich hatte ich mehr Glück als Verstand. Denn meinem Rad war nichts weiter passiert, der Schaden hielt sich mit einer verbeulten Lenkertasche in Grenzen. Erleichtert setzte ich meinen Schlaf fort, diesmal jedoch mit einem offenen Auge.

 

Für eine Stadtbesichtigung ist keine Zeit geeigneter als ein Sonntagmorgen. So geschehen in Sønderborg. Außer einer Reisegruppe aus Deutschland, die gerade aus dem Bus stieg, war die Stadt menschenleer.

In aller Ruhe ging ich auf Entdeckungstour: Schloss, Kirche, Altstadt und Hafen.

Nun lag auch diese letzte Stadtbesichtigung in einem skandinavischen Land hinter mir. Zögerlich fuhr ich in Richtung dänisch-deutscher Grenze. Ich konnte mich einfach noch nicht überwinden, über die nunmehr letzte aller neun Bernsteintour-Grenzen zu fahren und wieder nach Deutschland zurückzukehren.

Jede einzelne Sekunde genoss ich, wollte sie festhalten,  aber ob ich wollte oder nicht, ich fuhr dem unwiderruflichen Ende meiner Tour entgegen.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0

Aus Liebe zur Natur